Qualität systemisch gesehen

Hans-Joachim GÖRGES & Jürgen HARGENS

In der Systemischen Gesellschaft (SG) ist eine Diskussion angestoßen worden, die sich mit

Qualität im systemischen Arbeiten, insbesondere in den Weiterbildungen, beschäftigt. Es gab dazu eine außerordentliche Mitgliederversammlung, die viele Fragen und einige Anregungenin einem offenen Prozess gesammelt hat, und bei der nächsten ordentlichen Mitgliederversammlung im April werden erste Anträge zum Thema erwartet. Ist das, was wir tun, gut genug? Woran könnten wir das merken, wie können wir es sicherstellen? Diese Fragen scheinen uns über die aktuellen Auseinandersetzungen in der SG hinauszuweisen und grundlegende Fragen systemischer Weiterbildung und des Selbstverständnisses systemischen Arbeitens insgesamt zu berühren. Wir möchten an dieser Stelle die Diskussionen aufgreifen und weiter anregen und laden die Leserinnen ein, sich an diesem Prozess zu beteiligen. Wir gehen von drei Ebenen der Betrachtung aus. Die Bearbeitung jeder dieser drei Ebenenführt zu unterschiedlichen Ergebnissen, bezieht sich auf unterschiedliche Bereiche, hat vermutlich unterschiedliche Konsequenzen und es könnte hilfreich sein, diese

Ebenen zu unterschieden:

1. Qualität als Standard für die Mitgliedschaft eines Instituts in der SG

2. Qualität als Bedingung/Voraussetzung gesundheitspolitischer Anerkennung

3. Qualität als Kennzeichen systemischer Arbeit “allgemein“

Zu 1) Standards beschreiben in diesem Zusammenhang formal-juristische, ggf. durch Beschluss der Mitgliederversammlung zu verändernde Kriterien, die die Voraussetzung einer Mitgliedschaft im „Club SG“ definieren. Aus dieser formalen Logik heraus macht es Sinn, dass Mitglieder die Kriterien der Club-Mitgliedschaft auch dauerhaft erfüllen müssen, um ihre Mitgliedschaft nicht in Frage zu stellen.Was das über die Qualität aussagt, ist eine hier nicht zu erörternde Frage, da die Standards nichts über Qualität aussagen noch damit ausgesagt ist, was Qualität (in diesem Zusammenhang) denn überhaupt sei.

Zu 2) Gesundheitspolitische Anerkennung im Sinne eines wissenschaftlich anerkannten Psychotherapie verfahrens bedeutet Anpassung an die entsprechenden Vorgaben. Dies stellt einen klaren Bezug zu Beschreibungs- und Definitionssystemen gesellschaftlicher Gruppen her und das Ziel wäre entsprechend deutlich: Anerkennung der und Einbindung in die Funktionsweisebestehender sozialer Systeme. Dies betrifft auf der einen Seite die Anpassung der Curricula derjenigen Institute, die einen Abschluss anbieten wollen, der die Erlangung der Approbation ermöglichen wird. Auf der anderen Seite wird dies auch eine Übernahme gesundheits politisch sanktionierter Maßnahmen der sogenannten Qualitätssicherung beinhalten. Qualität meint hierfolglich die Einhaltung bestimmter nicht von uns festgelegter Standards, ist also extern definiert und nicht von uns definierbar.

Das bringt uns auf den 3.) und unseres Erachtens interessantesten Aspekt der Debatte, nämlichdie Frage nach der Qualität systemischer Arbeit bzw. einen systemischen Begriff von Qualität. Das wiederum verweist auf ein eigenständiges Beschreibungssystem, das mit systemischen Ideen kompatibel und dementsprechend auch theoriekompatibel sein sollte.Fragen nach einer wie auch immer gearteten Qualität entstehen in einem bestimmten Kontextund mit einer bestimmten Zielrichtung. Qualität im systemischen Arbeiten muss also notwendigerweise jeweils kontextabhängig neu bestimmt werden, je nachdem wer wann wo mit wem worüber spricht. Deshalb sollte am Anfang jeder Debatte über „Qualität“ deutlich herausgearbeitet werden, wer die Frage nach welcher Qualität mit welchem Ziel formuliert. Dies schließt eine zeitüberdauernde und beobachterunabhängige Definition systemischer Qualität aus. Qualität muss in einer systemisch gedachten Diskussion den Aspekten Zirkularität Prozesscharakter und Veränderbarkeit Rechung tragen. Es zählt also die Idee der Vielfalt, der Optionen, der Erweiterung der Möglichkeiten.Wer bestimmt dann also, wie Qualität im systemischen Sinne definiert werden soll? Wer bestimmt, ob ein Essen gut ist? Die Produzentin der Zutaten, der Zulieferer, die Köchin derjenige, der es serviert oder die Esserin? Je nachdem, an welchem Punkt sie stehen, werden Sie diese Frage anders beantworten. Zu Verständigung und fruchtbarer Auseinandersetzung bedarf es dann u. E. einer Kontextualisierung, die die unterschiedlichen Perspektiven nachvollziehbar macht. Eine Einigung muss damit noch lange nicht zustande kommen, ist vielleicht auch gar nicht sinnvoll. Allenfalls wird man sich auf Kriterien einigen können, die hilfsweise als Anhaltspunkt für gewünschte Qualität in den jeweiligen Bereichen gelten können Die Abstimmung mit den Füßen in Bezug auf Weiterbildungen der systemischen Therapieinstitute etwa scheint manchen ein unzureichendes Kriterium für deren Güte zu sein. Was viele tun, muss noch lange nicht gut sein, heißt es da. Qualitativ hochwertige Produkte werden nicht unbedingt besser nachgefragt - andererseits könnten wir uns fragen, warum wir über Qualität sprechen sollten, solange unser Produkt sich gut verkauft. Erschwerend kommt hinzu, dass Veränderung nicht automatisch Verbesserung bedeutet und wir als Systemikerinnen noch nicht einmal voraussagen können, welche Auswirkungen welche Entscheidung nach sich zieht.. Machen wir uns also vielleicht handlungsunfähig, wenn wir auf systemischen Grundsätzen beharren?

Wenn wir in systemischer Theorie und Praxis Kriterien für das bilden wollen, was als gewünschte Qualität systemischen Arbeitens bezeichnet werden mag, welche könnten das sein? Kurt Ludewig (2005) schlägt Nutzen, Schönheit und Respekt als Gütekriterien für Psychotherapie vor. „Unter Nutzen verstehe ich im Hinblick auf Psychotherapie eine konsensfähige

Beurteilung dessen, ob und wie der vereinbarte Auftrag erfüllt wurde.“ (a.a.O., S. 104) Mit

Schönheit und Respekt wird die „Verantwortlichkeit des jeweiligen Helfers“ (a.a.O., S. 105) einbezogen. „Therapeutische Interventionen sollten im Hinblick auf das Ziel nützlich, bezüglich der Form schön und bezüglich der darin vermittelten menschlichen Haltung respektvoll sein. Diese drei systemisch abgeleiteten Kriterien können jeder professionellen Form zwischenmenschlicher Tätigkeit zugrunde gelegt werden. Sie begründen eine systemische Haltung“.

(a.a.O., S. 107, Hervorhebungen im Original) Wesentlich scheint uns, die systemisch Handelnden, seien es TherapeutInnen, SupervisorInnen, Coaches, OrganisationsberaterInnen oder AusbilderInnen in die Verantwortung zu nehmen für ihr Handeln, nicht unbedingt jedoch für dessen Auswirkungen, zu denen es keine lineare Verknüpfung im Sinne eines Wenn-Dann gibt. „Jeder Therapeut steht vor dem Dilemma, gezielt handeln zu wollen, ohne den Anderen »durchschauen» zu können und daher ohne zu wissen, was sein Handeln bewirkt“ (Ludewig 1997, S. 124). Dies gilt wohl nicht minder für die Weiterbildung. Aus diesem Dilemma hilft u.E. nur der Einbezug aller am Geschehen Beteiligten in dessen Beurteilung. Die Verantwortung dafür, entsprechende Verfahren und Rückkopplungsschleifen zu entwickeln und zur Verfügung zu stellen, sollten die systemischen Institute und Gesellschaften übernehmen. Solche kontext- und beobachterorientierten Gespräche zwischen Anbietern, Abnehmern und Zuschauern zum Beispiel sind durchführbar und praktikabel. Sie könnten als interaktive Validierung im Sinne einer immer wieder auszuhandelnden Qualitätssicherung begriffen werden. Was heißt das nun für die oben angeführten fraglichen Punkte?

Zu 1) Qualität als Standard der Mitgliedschaft in der SG lässt sich formal eindeutig durch die Satzung und entsprechende Beschlüsse der MV regeln. So verstanden, geht es um formale Kriterien einer Mitgliedschaft.

Zu 2) Qualität als Bedingung/Voraussetzung gesundheitspolitischer Anerkennung erfordert eine Entscheidung über den politischen Weg des „Club SG“ und diese Entscheidung ist gefallen.

Zu 3) Qualität als Kennzeichen systemischer Arbeit ist bislang noch nicht definiert, da sich gängige Qualitätsbeschreibungen an bestehenden Prozeduren anlehnen, die der systemischen Idee zuwiderlaufen. Es gilt eigene, neue Prozeduren zu entwickeln.Wir denken, dass sich diese Bereiche z.T. zu widersprechen scheinen, und halten gerade deshalb eine Trennung für notwendig. Alle drei Bereiche erfordern eine Haltung und ein Vorgehen vonseiten der SG. Die größte Herausforderung stellt u.E. eine Annäherung an einen „systemischen Qualitätsbegriff“ dar und wir denken, dass es sich lohnt, diesen Weg gemeinsam weiterzugehen, um systemische Qualitätssicherung mit Inhalt zu füllen. Was für Verfahrensweisen und Rückmeldeschleifen existieren denn schon und haben sich bewährt, was könnten wir neu ausprobieren, wo könnten wir über den Tellerrand schauen und uns Anregungen holen? Gibt es ähnliche Diskussionen in anderen Bereichen, die schon länger Erfahrungen mit einem kontextorientierten Evaluationsverfahren haben, wie zum Beispiel der Qualitativen Forschung? Welche interessanten Fragen gibt es noch? Da sich Systeme durch Rückmeldung steuern (und nicht einseitig/eindeutig kontrollierbar sind), scheint es uns hilfreich, eine Struktur der Organisation zu (er-)finden, die solche Rückmeldungsschleifen als ein bestimmendes Merkmal mitsichern und so systemische Vielfalt begünstigen kann

Literatur

Ludewig K (1997) Systemische Therapie. Grundlagen klinischer Theorie und Praxis. Klett-
Cotta, Stuttgart

Ludewig K (2005) Einführung in die theoretischen Grundlagen der systemischen Therapie.
Carl-Auer Compact, Heidelberg

Die mail-Adressen der Autoren:

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